Sonntag, 1. November 2020

»Hymnen an die Nacht« von Novalis - Erste Strophe


Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn, das allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Stralen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele athmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut - athmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Thier - vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. - Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.



Die »Hymnen an die Nacht« sind ein Zyklus von sechs eng untereindander verbundnene Poemen, gekleidet in eine eigentümliche Mischung Prosagedicht und Vers.

In vielerlei Hinsicht sind die »Hymnen an die Nacht« ein Gedicht ihrer Zeit.

Ihr Thema ist die Überwindung des Todes im Bewußtsein, denn an der physischen Tatsache des Lebensendes führt kein Weg vorbei.

So lassen sich die »Hymnen« eine religiöse Dichtung nennen, aber der Begriff ist zu allgemein, um diese Dichtung damit hinreichend und trefflich zu beschreiben.

»Hymnen an die Nacht« von Novalis, Erste Strophe



Video:

Hymnen an die Nacht - Youtube

»Das Lied der Toten« von Novalis



Lobt doch unsre stillen Feste
Unsre Gärten, unsre Zimmer,
Das bequeme Hausgeräte,
Unser Hab und Gut.
Täglich kommen neue Gäste,
Diese früh, die andern späte.
Auf den weiten Herden immer
Lodert neue Lebensglut.

Kinder der Vergangenheiten,
Helden aus den grauen Zeiten,
Der Gestirne Riesengeister
Wunderlich gesellt,
Holde Frauen, ernste Meister,
Kinder und verlebte Greise
Sitzen hier in einem Kreise,
Wohnen in der alten Welt.

Keiner wird sich je beschweren,
Keiner wünschen, fortzugehen,
Wer an unsern vollen Tischen
Einmal fröhlich saß.
Klagen sind nicht mehr zu hören,
Keine Wunden mehr zu sehen,
Keine Tränen abzuwischen;
Ewig läuft das Stundenglas.

Süßer Reiz der Mitternächte,
Stiller Kreis geheimer Mächte,
Wollust rätselhafter Spiele,
Wir nur kennen euch.
Wir nur sind am hohen Ziele,
Bald in Strom uns zu ergießen,
Dann in Tropfen zu zerfließen
Und zu nippen auch zugleich.

Uns ward erst die Liebe Leben;
Innig wie die Elemente
Mischen wir des Daseins Fluten,
Brausend Herz mit Herz.
Lüstern scheiden sich die Fluten,
Denn der Kampf der Elemente
Ist der Liebe höchstes Leben
Und des Herzens eignes Herz.

So in Lieb und hoher Wollust
Sind wir immerdar versunken,
Seit der wilde trübe Funken
Jener Welt erlosch.
Seit der Hügel sich geschlossen
Und der Scheiterhaufen sprühte,
Und dem schaudernden Gemüte
Nun das Erdgesicht zerfloß.

Zauber der Erinnerungen,
Heilger Wehmut, süße Schauer
Haben innig uns durchklungen,
Kühlen unsre Glut.
Wunden gibts, die ewig schmerzen,
Eine göttlich tiefe Trauer
Wohnt in unser aller Herzen
Löst uns auf in eine Flut.

Und in dieser Flut ergießen
Wir uns auf geheime Weise
In den Ozean des Lebens
Tief in Gott hinein;
Und aus seinem Herzen fließen
Wir zurück zu unserm Kreise,
Und der Geist des höchsten Strebens
Taucht in unsre Wirbel ein.

Könnten doch die Menschen wissen,
Unsre künftigen Genossen,
Daß bei allen ihren Freuden
Wir geschäftig sind:
Jauchzend würden sie verscheiden,
Gern das bleiche Dasein missen, -
Oh! die Zeit ist bald verflossen,
Kommt, Geliebte, doch geschwind!

Helft uns nur den Erdgeist binden,
Lernt den Sinn des Todes fassen
Und das Wort des Lebens finden;
Einmal kehrt euch um.
Deine Macht muß bald verschwinden,
Dein erborgtes Licht verblassen,
Werden dich in kurzem binden,
Erdgeist, deine Zeit ist um.

»Das Lied der Toten« von Novalis


Das Gedicht „Das Lied der Toten“ verfasste Georg Friedrich Hardenberg, auch bekannt unter dem Pseudonym Novalis, im Jahr 1800 für den zweiten Teil des Romans „Heinrich von Ofterdingen“, den er geplant hatte, jedoch aufgrund seiner Krankheit und seines frühen Todes nicht vollenden konnte. Sein enger Freund Ludwig Tieck gab den ersten Teil des Romans 1802 nach dem Tod Hardenbergs mit einem Nachwort heraus, in dem er auf der Basis seiner Erinnerungen sowie der Notizen des Autors das Vorhaben des Freundes beschreibt und auf dessen übergeordnetes Ziel hinweist: „Denn es war ihm nicht darum zu tun, diese oder jene Begebenheit darzustellen, eine Seite der Poesie aufzufassen, und sie durch Figuren und Geschichten zu erklären, sondern er wollte, wie auch schon im letzten Kapitel des ersten Teils bestimmt angedeutet ist, das eigentliche Wesen der Poesie aussprechen und ihre innerste Absicht erklären. Darum verwandelt sich Natur, Historie, der Krieg und das bürgerliche Leben mit seinen gewöhnlichsten Vorfällen in Poesie, weil diese der Geist ist, der alle Dinge belebt“. In dem vorliegenden Gedicht geht die Dichtung Hardenbergs sogar über das diesseitige Leben hinaus und beschreibt das Leben im Jenseits mit all seinen sinnlichen und geistigen Genüssen.

„Das Lied der Toten“  besteht aus 15 Strophen zu je acht Verszeilen. Das Metrum ist überwiegend ein Trochäus, häufig weisen die Verszeilen jedoch auch Abweichungen auf. Die Kadenzen variieren. Während die weiblichen, klingenden Endungen dominieren, verursachen die männlichen, stumpfen Versenden eine Zäsur am Ende der vierten und achten Verszeilen jeder Strophe. Häufig sind diese Verszeilen außerdem durch ein Enjambement mit der vorangehenden Zeile verknüpft, was dem Klang des Gedichts eine wiederkehrende Struktur verleiht. Das Reimschema des Gedichts ergibt kein zusammenhängendes Bild, das Reimmuster variiert von Strophe zu Strophe. Es empfiehlt sich daher, bei den einzelnen Strophen näher darauf einzugehen.

https://www.youtube.com/watch?v=hOTV6KZElx8

Freitag, 23. Oktober 2020

Friedrich von Hardenbergs Zeit in Jena

Novalis


Jena war um 1800 das Zentrum der Wissenschaft. In und um Jena herum herrschte eine kurze Zeit lebhaftstester intellektueller Kreativität und Produktiviität, die junge denkbegeisterte, spekulationslustige Leute anzog, wobei die magnetische Kraft auch von den wirklich großen Denkern der Philososphiegeschichte ausging, vor allemn von Kant und Fichte.

Am 23. Oktober 1790 immatrikulierte die Universität Jena Friedrich von Hardenberg.

Friedrich von Hardenbergs Zeit in Jena war ein Zeit

Samstag, 12. September 2020

Von der Faszination für Novalis


Nicht nur im Werk, auch in der Kürze seines Lebens, auch in den äußeren Gegensätzen zwischen Alltagsleben und Dichtung, liegt eine Faszination an der Person, welche die Jahrhunderte spielend überdauert hat. Faszination für Novalis, für das ätherisch abgehobene, feinfühlige, romantische des Dichters, der Schmetterlinge lachen hörte, weniger aber für jenen Friedrich von Hardenberg, der als Beamter, als Bergbauingenieur seinen Alltag durchaus bestanden hat und auch in dieser Hinsicht weitere Pläne verfolgte, die nur durch seinen Tod einen plötzlichen Abbruch erfuhren.

Es gibt sie aber, die Verbindungslinien zwischen beiden Existenzen. Es sind nicht zwei Seelen die in einer Brust konkurrierten. Aber man muss schon genau hinschauen, um das eine im anderen zu erkennen und den Dichter aus dem Alltagsleben heraus mit ableiten zu können. Gerhard Schulz schaut genau hin und ist in der Lage, diese Verbindungen aufzuzeigen, indem er das Leben des Friedrich von Hardenberg biographisch nachzeichnet.

»Des Dichters Reich sey die Welt in den Focus seiner Zeit gedrängt«. Weite und konkretes Leben gehören beide hinzu, aus dem konkreten Alltagsleben heraus die Weite suchen und den Himmel berühren, schwerelos fast, das ist der Weg des Dichters Novalis, zu dessen Lieblingsworten jene umfassende Welt und das Universum zählten.

Friedrich Freiherr von Hardenberg in Freiberg

Novalis




An der Bergakademie Freiberg, einer der zu dieser Zeit ersten Hochschuladressen für Naturwissenschaften begann Novalis 1797 sein Studium. Dort war er Schüler von Wilhelm August Lampadius und Abraham Gottlob Werner. Das Studium an der Bergakademie Freiberg umfasste Bergwerkskunde, Mathematik, Chemie sowie die praktische Tätigkeit in den Gruben und war damit eine ausgesprochen weitreichende, umfassende Ausbildung, zumal die Naturlehre damals mehr umfasste als die späteren Naturwissenschaften.

Daß er seinem Studium mit großem Eifer nachging, beweisen unter anderem seine wissenschaftlichen Arbeiten, die den größten Teil seiner Freiberger Fragmente bilden. Vielfach nimmt er später in seinen Liedern Vergleiche aus dem Bergmannsleben. 1798 erschienen seine ersten Beiträge unter dem Titel "Blüthenstaub".

Weblink:

Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg Biografie - tu-freiberg.de

Samstag, 20. Juni 2020

»An Agathon« von Novalis

Agathon von Athen – Saluton

Wenn Könige mit Gunst dich überhäufen,
Rund um dich Gold in hohen Haufen lacht,
Und zwanzig Schiffe dir durch alle Meere streifen,
Und für dein Wohl Fortuna treulich wacht,
So rühmet jedermann dein Glück; doch stets vergebens,
Denn hast du nicht dabei Philosophie des Lebens,
So hast du nichts.

»An Agathon« von Novalis

Samstag, 18. April 2020

»Es färbte sich die Wiese grün« von Novalis

Es färbte sich die Wiese grün Und um die Hecken sah ich blühn, Tagtäglich sah ich neue Kräuter, Mild war die Luft, der Himmel heiter. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Und immer dunkler ward der Wald Auch bunter Sänger Aufenthalt, Es drang mir bald auf allen Wegen Ihr Klang in süßen Duft entgegen. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Es quoll und trieb nun überall Mit Leben, Farben, Duft und Schall, Sie schienen gern sich zu vereinen, Daß alles möchte lieblich scheinen. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. So dacht ich: ist ein Geist erwacht, Der alles so lebendig macht Und der mit tausend schönen Waren Und Blüten sich will offenbaren? Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Vielleicht beginnt ein neues Reich – Der lockre Staub wird zum Gesträuch Der Baum nimmt tierische Gebärden Das Tier soll gar zum Menschen werden. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Wie ich so stand und bei mir sann, Ein mächtger Trieb in mir begann. Ein freundlich Mädchen kam gegangen Und nahm mir jeden Sinn gefangen. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Sie ging vorbei, ich grüßte sie, Sie dankte, das vergeß ich nie – Ich mußte ihre Hand erfassen Und Sie schien gern sie mir zu lassen. Ich wußte nicht, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah. Uns barg der Wald vor Sonnenschein Das ist der Frühling fiel mir ein. Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden Die Menschen sollten Götter werden. Nun wußt ich wohl, wie mir geschah, Und wie das wurde, was ich sah.
»Es färbte sich die Wiese grün« von Novalis