Samstag, 10. September 2022

»Die Christenbeit oder Europa« von Novalis (K)


»Die Christenbeit oder Europa« ist ein 1799 entstandener Aufsatz von Novalis, der in Dichterkreisen viel diskutiert, jedoch wegen Bedenken auf Anraten Goethes nicht veröffentlicht wurde. Der Aufsatz beschwört die vision eines einheitlichen Europa unter vereinigt in einem gemeinsamen Glauben, der aus der christlichen Vergangenheit des Mittelalters heraufbeschworen wird.

Novalis war ein Genius des Christentums. Für ihn, den Freiherrn Friedrich von Hardenberg, bedurfte es eines größeren Zieles seines Weges, der über die Philosophie und die Kunst führte und nicht über die aktuelle Politik. Immerhin jedoch keimte daraus schließlich der Gedanke an sein Land als Teil eines kontinental-europäischen Staatenbundes.

Novalis'Aufsatz »Die Christenbeit oder Europa« aus dem Jahre 1799 kündete zum erstenmal öffentlich in deutscher Sprache von der Vision einer europäischen Gemeinschaft. Inspiriert von Schleiermachers Schrift, hatte er den Text gerade dem Freundeskreis in Jena vorgetragen.

Denn auf Religion wie auf Politik bezog sich die Vision, die darin ausqesprochen wird, und durch ein ncucs Verständnis von Geschichte sollte sie gerechtfertigt werden. Es werde «so lange Blut über Europa strömen bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gerecht werden, der sie im Kreise herumtreibt», verkündete Novalis, und dauern werde das, bis «die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar aul Erden in ihr altes friedenstiftendes Ämt»: installiert werde. Daraus ist, wie man will, nichts geworden. Das Reich der Christenheit jedoch ist längst größer im Raum und kleiner in den Köpfen geworden. Kann also die Betrachtung von Novalis' kleiner Schrift mehr sein als der Feststellung einer Ernüchterung und die Abwicklung einer Vision, harre doch Novalis selbst schon Schwierigkeiten damit, verstanden zu werden, a1s er sie zuerst verkündete?

Politisch war es eine turbulente Zeit, als Norvalis das Manuskript seiner Rede über die Christenheit Ende Oktober/Anfang November 1799 niederschrieb. Der französische König Ludwig XVI. wurde 1793 hingerichtet, Papst Pius VI. im Februar 1798 gefangensetzt) der Vatikan in eine Republik umgewandelt und als Pius am 29. August 1799 in französischer Haft starb, die Wahl eines neuen Papstes verboten. Statt seiner hatte ein Herrscher im Reiche der Politik und des Krieges seine Interessen angemeldet: Am 9. Oktober war Napoleon Bonaparte, zwei Jahre jünger als August Wilhelm Schlegel und drei Jahre älter als Hardenberg, von seinem Ägyptenfeldzug, also aus dem «Morgenland», zurückgekehrt, sondern nicht nur mit einer Armee, sondern auch mit einer Änzahl von Wissenschaftlern ausgezogen war. Die aber waren beauftragt mit der Erforschung von Natur und Kultur des Landes, denn ein Stück Orient sollte erobert und durch einen Akt nicht militärischer, sondern intellektueller Besitzergreifung unterworfen werden.

Am 9. November 1799, dem 18. Brumaire, als sich die jungen Literaten gerade in Jena versammelten, stürzte Napoleon in Paris die Direktorialregierung und setzte sich als Erster Konsul ein. Vorausgegangen aber war dem allen eine Dekade der Revolution in Frankreich, deren Folgeerscheinunqen sich nun über Europa auszudehnen begannen, denn mit der Macht über seine eigene Nation wollte sich Napoleon von vornherein nicht begnügen.

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